Seit 25 Jahren kämpft die Physiotherapiebranche für bessere Bedingungen. Die Krankenkassenversicherungen und der Physioverband müssen immer wieder neue Verhandlungen über das Tarifwesen führen. Die Versicherungen blockierten jedoch die Verhandlungen und das BAG, welches dabei vermitteln sollte, war nicht in der Lage, die Versicherungen an den Verhandlungstisch zu bringen. Deshalb hat nun der Bundesrat selbst einen Vorschlag in die Vernehmlassung geschickt, welcher die Situation für die Physiotherapie verschlechtert. Dieser Tarifeingriff bedroht die Zukunft der modernen, wissenschaftlich geprägten Physiotherapie.
Kostenexplosion oder Kostenverschiebung
In Zeiten von steigenden Krankenkassenprämien ist es unpopulär, für bessere Bedingungen und Tarife zu kämpfen. Die Krankenkassen machen die Physiotherapie mitverantwortlich für die Kostenexplosion der vergangenen Jahre. Die Physiotherapie macht jedoch nur 3.6% der Gesamtkosten im Gesundheitswesen aus. Die Administrationskosten der Versicherungen betragen beispielsweise rund 5%. Was sind die Gründe für die kontinuierlich steigenden Kosten, die in den letzten Jahren durch die Physiotherapie verursacht worden sind? Es ist der klare politische Wille, ambulante Behandlungen den stationären vorzuziehen. Dies führt mitunter dazu, dass PatientInnen früher aus den Spitälern entlassen werden. Es wurde auch erkannt, dass zu viel und zu schnell operiert wurde, was zu häufigeren physiotherapeutischen Behandlungen geführt hat. Zudem wird auch die Gesamtheit der Gesellschaft immer älter und multimorbider.
Die Physiotherapiekostensteigerung der letzten Jahre ist somit gewollt und zeigt, dass es sich nicht bloss um eine Kostensteigerung handelt, sondern um eine Kostenverschiebung. Dies wird im Artikel zweier Gesundheitsökonomen der ZHAW (Dr. A. Kohler, M. Stucki) dargestellt (https://blog.zhaw.ch/gesundheitsoekonomie/2022/02/17/steigende-kosten-fuer-die-physiotherapie-wirklich-ein-grund-zur-panik-eine-frage-des-massstabs). Hier ein Zitat daraus:
«Woher kommt die Alarmstimmung bei den Versicherern? Weil die Krankenversicherer im ambulanten Bereich im Gegensatz zu stationären Leistungen 100% der Kosten tragen müssen, haben sie ein nachvollziehbares Interesse daran, die Kosten- und somit die Prämienentwicklung zu kontrollieren. Allerdings sollten wir das ganze System im Auge behalten: von einer Behandlung mit einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis profitieren nicht nur Erkrankte, sondern alle Prämien- und Steuerzahlerinnen und -zahler.»
Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist kaum bei einer Therapie so gut wie bei der Physiotherapie. Dies bedeutet, dass die Physiotherapie zur Entlastung der Kosten im Gesundheitswesen beiträgt. Jede Operation, die verhindert werden kann, spart Tausende von Franken. Dies wird bisher nicht in Zahlen abgebildet, ist aber Realität. Wenn doch die Physiotherapie eigentlich zur Kostendämpfung beitragen würde, weshalb wird dann nicht genau dieser Bereich gestärkt? Unsere politischen Möglichkeiten sind im Vergleich zu anderen Verbänden und Interessen sehr klein (beispielsweise hat die Physiotherapie nur wenige Lobbyisten).
Politische Fairness
Seit Jahren engagiert sich der Schweizerische Physiotherapieverband für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Entlöhnung. Als Argument, weshalb die Krankenversicherungen nicht auf dessen Anliegen eingehen wollten, wurden fehlende objektive Daten dazu genannt. In den letzten Jahren wurden nun einige Studien durchgeführt, welche die prekären Bedingungen aufzeigen. Doch nun, wo Daten vorhanden wären, verweigern die Versicherungen die Verhandlungen, zu welchen sie gesetzlich verpflichtet wären. Durch die Vernehmlassung des Bundesrates wird nun ein 30-jähriges, anpassungsbedürftiges Tarifsystem noch stärker etabliert, ohne dass dafür selbst Daten erhoben worden wären. Dieser Prozess ist unfair und intransparent. PhysiotherapeutInnen verrechnen für ihre Behandlungen eine Pauschale, Administrationszeiten werden dabei nicht vergütet, dasselbe gilt für jegliche Berichte an ärztliche ZuweiserInnen oder andere Berufsgruppen. Dies führt dazu, dass rund 25% der Arbeit unbezahlt ist. Das hat zur Folge, dass der tatsächliche durchschnittliche Stundenlohn nur noch ca. 60.- Franken pro Stunde beträgt. Mit 48.- (Unfall) und 50.- (Krankheit) Franken pro Behandlung müssen Löhne, Miete, Geräte etc. finanziert werden können. Die Physiotherapie fordert, dass für beide Seiten die gleichen Bedingungen gelten sollen, wenn Änderungen am Tarifsystem durchgeführt werden sollen. Der Bund scheint zum Spielball der Versicherungen geworden zu sein, weshalb die Physiotherapie diesen Tarifeingriff dezidiert ablehnt.
Mögliche Folgen – Für Sie und uns
Der Eingriff des Bundesrates wird zu Lohnkürzungen in der Physiotherapie führen. Dabei sind die Löhne für ein Fachhochschulstudium bereits sehr tief. Weiterbildungen oder Spezialisierungen bringen schon jetzt keine Vorteile oder Mehreinnahmen. Egal, ob Masterstudium, Doktortitel oder 20 Jahre Berufserfahrung, alle haben die gleichen Tarife. Die Attraktivität des Studiums wird so langfristig abnehmen und mehr PhysiotherpeutInnen werden den Beruf verlassen. Bereits jetzt herrscht ein enormer Mangel an PhysiotherapeutInnen.
Die Behandlungsqualität wird abnehmen. Zudem besteht die Gefahr, dass mit dem neuen Kurzzeittarif Behandlungen im 15 Minuten-Rhythmus durchgeführt werden. Dabei ergeben 3-4 Patienten den gleichen Umsatz wie heute zwei Patienten.
Die Belastung der einzelnen PhysiotherapeutInnen wird noch mehr zunehmen. Schon jetzt arbeiten PhysiotherapeutInnen im ambulanten Bereich ohne Pausen durch und haben alle 30 Min. eine neue Person. Dies stellt eine physische und psychische Herausforderung dar, welche sich verschärfen wird. Heute herrscht bereits ein enormer Fachkräftemangel in der Physiotherapie und dieser wird mit weniger Lohn und mehr Patienten pro Stunde nicht abnehmen.
Helfen Sie uns – Online Petition gegen den Tarifeingriff
Wir fordern faire Verhandlungen, bei denen unsere Argumente und Daten angehört und miteinbezogen werden. Wir bitten Sie, uns Ihre Stimme zu geben und folgende Petition zu unterschreiben:
https://www.openpetition.eu/ch/petition/online/physiotherapie-vor-dem-abgrund-der-bundesrat-will-eine-tarifkuerzung-wir-wehren-uns-dagegen
Wir möchten den Bundesrat dazu bewegen, die Vernehmlassung zu überdenken und auf die Sorgen und Argumente der Physiotherapie als Teil der medizinischen Grundversogung einzugehen. Danke, dass Sie uns dabei helfen!
Weitere detaillierte Informationen zum Tarifeingriff des Bundesrates finden Sie z.B. durch folgenden Link:
QA_Tarifeingriff